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Der Verein

Wahllokal anno dazumal

Gehen Sie zuweilen ins Langmatt Schulhaus, um Ihre Stimm- oder Wahlzettel in die Urne zu werfen? Oder stimmen Sie nur noch brieflich ab (falls Sie es nicht ganz sein lassen)? Der Raum im Neubau ist zwar hell und freundlich, freundlich auch die Helfer, die am Eingangstisch oder hinter den Urnen sitzen, aber als Publikumsmagneten haben sie noch nie gewirkt. Hier und da tröpfelt jemand hinein: "Tzi tenand", Papier, Papier, Papier, "Diö tenand", das war's. Ein bisschen langsamer, wenn's ein Vater mit Kleinkind im Tragtuch ist: "Lueg de Maa. De luegt jetz dass de Bappi de Schii richtig inetuet". Selten einmal ein Grüppchen; dazwischen würde es an den Urnen reichen, um ein Paar Socken zu stricken.
Drehen wir ein paar Jahre zurück: Immer noch Langmatt Schulhaus, aber vor dem Neubau. Das Stimmlokal gleicht, im Winter vor allem, einem feuchten, dunklen Keller, schummrig beleuchtet von 25 Watt Lampen (die damaligen, versteht sich, mit 200 Lumen). Dennoch hat es deutlich mehr "Kunden". Vor der Tür werben Männer und Frauen mit Unterschriftenbogen für Initiativen — von der Freihaltung der Langmattwiese über die Forderung nach einem Quartierbus bis zu Problemen mit der Versäuberung von Hunden. Solange man noch die Abstimmungszettel in der Hand hält, kann man guten Gewissens an ihnen vorbeischreiten und sich drinnen anstellen, bis man an die Reihe kommt. Beim Hinausgehen wird man ziemlich energisch angesprochen. Es kommt zu Diskussionen, viele kennen sich, man ist ein bisschen stolz, auch zu denen zu gehören, die… Briefliche Abstimmung ist noch etwas Exotisches.
Eigentlich wäre es hier schon ganz interessant, wären da nicht das düstere Lokal und im Winter die vereisten Gehsteige der Heilighüslistrasse und der spiegelblanke Vorplatz. Versuchen wir es also noch etwas früher, z.B. mit einer Punktlandung im Jahr 1985. Damals besitzt Witikon nicht nur ein schmuckes Postbureau im Einkaufszentrum und eine Polizeiwache an der Carl-Spitteler-Strasse, sondern auch ein Kreisbüro, das noch nicht den stadträtlichen Sparübungen zum Opfer gefallen ist. Und siehe da, jetzt wird es richtig gemütlich an Wahl- und Abstimmungstagen.
Der Quartierbüro Chef hat den Raum wohnlich eingerichtet, die Leute kommen nicht nur, um ihre Papierchen einzuwerfen, sondern sitzen auch noch an die aufgestellten Tische und schwatzen miteinander. Witikon hat, trotz seinem schon damals enormen Wachstum, noch ziemlich viel Dorfcharakter behalten. Man kennt sich, man grüsst sich, man kommt von der Kirche oder geht in die Kirche, es ist ein wenig wie weiland in den Dörfern, wo am Sonntag vor der Kirche, etwas weniger drin, dafür umso mehr danach in der gegenüber liegenden Beiz die meisten Anwohner zusammenkamen und manchmal auch eine Kuh den Besitzer wechselte. Vom Quartierbüro an der Witikonerstrasse 365 ist es nicht weit bis zur nächsten Beiz, wo man bei einem Bierchen das Gespräch weiterführen kann. Am 6. Dezember schaut der Samichlaus herein und lässt Nüsschen und Mandarinen auf den Tischen zurück, und vor Ostern sollen auch schon Schokoladeeier erschienen sein. Da ist es wohl kein Zufall, wenn Witikon damals eine der höchsten Stimmbeteiligungen in der Stadt Zürich hatte.
Ob das Leben in Witikon damals schöner war? Schwer zu sagen. Sicher aber waren Abstimmungen nicht nur politische, sondern auch gesellige Ereignisse, was man von Briefabstimmungen, ins Handy gedäumelten Kandidatenküren und dem kommenden E-Voting bestimmt nicht sagen kann. Auch 1657 Freunde auf Facebook können uns online keine duftenden Mandarinchen schicken.

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